Jeanne Wellnitz interviewt Michael Martens von fairlanguage.

Die Haltungsfrage

Michael Martens und sein Team begleiten Unternehmen bei den ersten Schritten auf dem Weg zur fairen Sprache. Ein Gespräch über Haltung, Konsequenz und Krisenkommunikation

Ein Interview von Jeanne Wellnitz

Dieses Interview erschien zuerst im Kompendium Gendersensible Sprache, das 2020 vom BdKom herausgegeben wurde.

Herr Martens, wo stehen deutsche ­Unter­nehmen beim Thema gendersensible Sprache?
Es fließt zwar viel Energie und Geld in Leitfäden, aber bei der ­Umsetzung sind Unternehmen und Kommunen teilweise noch zurückhaltend. Vor allem Unternehmen ­tasten sich vorsichtig an das Thema heran und überlegen, wie sie in einem ersten Schritt die ­Mitarbeitenden erreichen können, die an gender­sensibler Sprache interessiert sind.

Sie beraten Unternehmen und schulen die Belegschaft. Erleben Sie in den Workshops viel Widerstand?
Eigentlich kaum, das liegt aber vielleicht auch daran, dass unsere Workshops ­meistens keine Pflichtveranstaltungen sind. Oft sind 15 Prozent der Teilnehmenden vorab schon überzeugt. Der Rest ist offen, weil gender­gerechte Sprache berufsbedingt einfach ein Thema für sie ist. Menschen aus der ­Personal- oder Kommunikations­abteilung sind oft einfach auf der Suche nach Unterstützung und ­Orientierung. Man kann nicht alle Leute bei einem ­solchen Wandel mitnehmen. Das gelingt auch bei ­anderen Prozessen wie bei der ­Digitalisierung oder einer Umstrukturierung nie. ­Dieser ­Tatsache müssen sich Unternehmen stellen.

Als Anne Will in ihrer Talkshow „Bund der Steuer­zahler_innen“ mit Genderpause ­aussprach, war der Aufschrei in den Medien und Sozialen Netzwerken groß. Brauchen Unter­nehmen einen Krisenkommunikationsplan, wenn sie gendern wollen?
Anne Will gendert schon länger, es wurde diesmal nur in einem Tweet kritisiert, auf den sich dann alle gestürzt haben. Sobald sich eine Organisation oder eine bekannte Person positioniert und zeigt, wie Sprache gender­gerechter sein würde, ist schnell eine Welle der ­Kritik da. Die Verwaltungsmitarbeitenden in der Landes­hauptstadt Kiel nutzen beispielsweise seit über zwei Jahren vermehrt den Genderstern. Die Stadt ist eine Kundin von uns und hat den Stern und neutrale Formen sukzessive in die Kommunikation einfließen lassen. Ende Juni wurde dann in einer Pressemitteilung verkündet, dass die Stadt offiziell gendergerecht kommuniziert. Darauf gab es dann eine Welle an Kritik. Ein Vorwurf lautete: Das könne doch kein Mensch lesen. Da fragt man sich, warum diese Beschwerde nicht schon vor eineinhalb Jahren laut wurde. Die Debatten werden häufig recht hitzig geführt, aber wenn die gendergerechte Sprache dann tatsächlich umgesetzt wird, gibt es eher praktische Fragen als Gegenwind.

Kann man denn auch ohne Stern oder andere Sonderzeichen sinnvoll gendern?
Als Erstes müssen sich die Menschen einer Organisation überlegen, warum sie eigentlich gendergerecht kommunizieren wollen. Danach finden sich die dazu passenden Varianten wie beispielsweise der Genderstern oder der Gender­gap, die Vielfalt sichtbar machen und Stereotype aufbrechen. Oder neutrale Formen, die weniger anecken, aber eben auch weniger vielfältige Bilder im Kopf erzeugen.

Darf man auch ohne große Ankündigung ein bisschen ausprobieren?
Es spricht überhaupt nichts gegen das Ausprobieren von Varianten in verschiedenen Text­sorten, aber dennoch müssen ­Organisationen sich darüber im Klaren sein, wofür die eigene Marke steht und warum sie gendergerecht kommunizieren. Und nicht nur für ­Mitarbeitende können zu viele Varianten oder keine ­klaren Vorgaben herausfordernd sein – auch die Kundschaft wird sich irgendwann über die ­fehlende Konsistenz wundern.

Ist es denn nicht auch gut, wenn man so ­kreativ gendert, dass es niemandem auffällt? Dadurch könnte faire Sprache ­selbst­verständlich werden.

Aus Angst vor Kritik Möglichkeiten gar nicht erst auszuprobieren, halte ich für schwierig. Wenn Unternehmen versuchen heimlich, gender­gerecht zu kommunizieren, und sich dabei nicht erwischen lassen wollen – was für eine ­Haltung und Positionierung stellt das dann dar? Da ­müssen sich Organisationen auf jeden Fall die Frage gefallen lassen: Warum macht ihr es dann überhaupt? Unternehmen sollten sich eher klar positionieren und sagen: Das ist für uns eine Haltungs­frage. Dafür braucht es Führungs­kräfte, die dahinterstehen, und natürlich muss das auch die Belegschaft mittragen. Von oben herab zu sagen: Wir machen das so, das ist jetzt unsere Haltung, während die eigenen Leute nicht ­wissen, wozu, warum und wie – das wird nicht funktionieren. Und ist dann auch nicht authentisch.

Haben Sie schon viele Shitstorms im Zuge Ihrer Beratertätigkeit erlebt?
Eher selten. Es ist wichtig, gelassen zu ­bleiben. Nur weil ein Tweet zum Thema 15 negative Kommentare hat, heißt das nicht, dass alle Menschen gendergerechte ­Kommunikation ablehnen. Die Art der Kritik ist stark plattform­abhängig. Meist ebbt sie auch schnell ­wieder ab. Deshalb ist es wichtig zu wissen, in ­welchem Kontext man sich bewegt und mit wem man kommuniziert. Und wenn man zugibt, dass man sich in einem Findungsprozess ­befindet, und offen ist für Feedback, dann wirkt diese Offenheit entwaffnend. Andere Menschen können sich weniger daran abarbeiten und bringen sich mitunter sogar konstruktiv ein.

Gibt es denn eine Tendenz, für welche Variante der gendergerechten Kommunikation sich die Unternehmen entscheiden?
Aktuell ist es eine Mischung aus Neutralisie­rung und Genderstern. Um ­sprachliche Stereo­type aufzubrechen, ist der Stern die ­bessere Wahl. Neutrale Formen tun dies weniger. Wenn ich von „programmierenden ­Menschen“ ­spreche, haben viele wahrscheinlich dennoch eher Männer im Kopf. Wenn da „­Programmierer*innen“ steht, denken die meisten eher auch an Frauen und nichtbinäre Menschen.

Wie beurteilen Sie die Verwendung des Doppelpunkts?

Dem Doppelpunkt fehlt meiner Meinung nach die Bedeutung. Er ist aktuell einfach ein Interpunktionszeichen. Beim Gender­stern repräsentieren die Strahlen jedoch die Geschlechter­vielfalt. Teilweise wird der Doppel­punkt bevorzugt, da er weniger auffällt. Das finde ich problematisch, denn aufzufallen ist ­mitunter gerade das Ziel vom Gendern: Es soll etwas ­aufgebrochen werden. ­Grundsätzlich sind wir aber froh über alle, die sich damit ­beschäftigen; den Doppelpunkt zu nutzen, ist allemal besser als das sogenannte generische Maskulinum.

Das Problem beim Stern ist, dass er von den Vorlesegeräten für blinde und sehbehinderte Menschen mitgelesen wird.

Ja, das ist eine Schwierigkeit, das gilt ­übrigens auch für Emojis. Je nach Programmierung der Software werden Sonderzeichen mitgelesen oder nicht – das Problem beim ­Ausschalten ist, dass sie dann auch an anderer Stelle nicht ­vorgelesen werden, wo sie jedoch eine ­wichtige Funktion haben könnten. Ich denke, je verbreite­ter eine Form ist, desto ­stärker wird sich die Softwareentwicklung daran ­orientieren. An ­diesem Thema kommen Sie genauso wenig vorbei wie am Thema Emojis. Generell ist es wichtig, dass wir uns nicht der Technik ­anpassen, sondern diese so entwickelt wird, dass sie für uns alle funktioniert.

Wenn man „Kollegen“ mit dem Stern gendert, werden daraus „Kolleg*innen“. Der Mann wird verkürzt zum „Kolleg“. Werden damit nicht Männer diskriminiert?
Meiner Meinung nach ist das Wort dazu da, eine Gruppe darzustellen, die vielfältig ist. Es ist also eine Gruppenbezeichnung, ich sehe das Wort als Ganzes. Aber darum geht es ja eigentlich gar nicht. Sondern eher darum, dass ­Männer nun mitunter auch überlegen müssen, ob sie mitgemeint sind.

Manche monieren außerdem, der Stern würde den Lesefluss stören.

Menschen verstehen Wörter, auch wenn Buchstaben innerhalb eines Wortes verdreht sind. Aber beim Genderstern heißt es dann: Ich kann das alles nicht mehr lesen. Es geht bei ­dieser Ablehnung eher darum, dass ­Wörter wie ­„Kolleg*innen“ eine Veränderung der Welt­anschauung repräsentieren. Darüber hinaus sensibilisiert der Genderstern dafür, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Und wenn uns durch eine sprachliche Form ein anderes Weltbild präsentiert wird, müssen wir uns dazu irgendwie positionieren. Einer ablehnenden Reaktion kann man nur mit Aufklärung begegnen. Sobald Menschen die Hintergründe verstehen, fragen sie sich weniger, ob sie gendern sollen, sondern eher wie das gelingen kann.

Michael Martens

ist Mitgründer des Start-ups ­fairlanguage und berät Unter­nehmen und Verwaltungen rund um geschlechtergerechte ­Kommuni­kation. ­Ursprünglich starteten er und sein Team mit dem Fokus auf digitalen ­Lösungen zum Gendern, bis sie fest­stellten: Die Unternehmen sind ­häufig noch gar nicht bereit für ­Lösungen, sie befinden sich eher in der Phase des Verstehens und denken über ihre eigene ­Haltung nach. ­Deswegen liegt der Fokus des Beratungs­unternehmens mittler­weile auf der ­strategischen Beratung und der ­Sensibilisierung.


Jeanne Wellnitz im Interview mit Gabriele Diewald.